Die Bienenkönigin

Von Tobias Meyer

Ursula Hybsz muss man sofort gern haben. Wie sie da steht, mit ihrem schrägen Imkerhut auf dem feuerroten Haar und dem weissen Ganzkörperanzug, und wie sie strahlt durch das feine Gitter ihres Gesichtsschleiers. Die 64-Jährige leitete die Jugendherberge Thülsfelder Talsperre bis Mitte Mai 2018. Innen drin trägt sie Puschen, denn in den frisch renovierten Räumen soll man sich wie Zuhause fühlen. Und draußen? Stapft sie in Holzschuhen zu den zwei Bienenvölkern der Jugendherberge, um die sich die Hobby-Imkerin kümmert – was bei bis zu 50.000 Bienen manchmal gar nicht so einfach ist. Dieser Beitrag stammt aus dem Jahr April 2016. Mittlerweile hat Uschi Hybsz die Leitung der Jugendherberge Thülsfelder Talsperre abgegeben, aber selbst produzierten Honig wird es auch noch weiterhin in der Jugendherberge geben.

Holzschuhe. Stockmeißel. Eierkartons. Ursula Hybsz holt alles nacheinander aus dem Kofferraum ihres Wagens. Zieht einen weißen Anzug an, setzt ihren Imkerhut auf, geht in die Knie, wählt in ihrem Körbchen, dass es nur so klirrt und knistert, und fingert ein Feuerzeug hervor. Klick, klick, die Flamme schießt aus der Öffnung und setzt die Eierkartons, die sie in Streifen gerissen und in ihren Dampfer gestopft hat, in Brand. Wer nicht selber für etwas brennt, kann andere nicht zum Brennen bringen, hat sie vorhin noch gesagt. Und Ursula Hybsz brennt für zwei Dinge: ihre Jugendherberge. Und ihre Bienenvölker.

Seit 27 Jahren arbeitet die 64-Jährige für die Jugendherbergen. Angefangen als Assistentin in der Jugendherberge Worpswede, übernimmt sie kurze Zeit später die Leitung eines kleinen Hauses in Greetsiel. Im Jahr 2000 dann wechselt sie zu der Jugendherberge an der Thülsfelder Talsperre. „Ich bin mit dieser Entscheidung sehr zufrieden“, sagt sie, und ihre blauen Augen strahlen. Dann ergänzt sie auf Plattdeutsch. Man mutt dat doon willen. Und Ursula Hybsz mag das tun wollen.

Imkern als Hobby

Doch die Hausleiterin mit den dunkelroten Haaren und der farblich dazu passenden Brille ist nicht nur Herbergsmutter für die Gäste, die in Hausschuhen durch die neugestalteten Räume der Puschenherberge laufen. Sie kümmert sich nebenbei auch noch um bis zu 50.000 Saisongäste, denn: seit vier Jahren ist Ursula Hybsz Imkerin aus Leidenschaft.

Jetzt, an diesem Samstagmorgen, stapft sie in ihren Holzschuhen durch das knöchelhohe grüne Gras hinter der Jugendherberge. Der Rauch aus ihrem Dampfer verliert sich im Wind, während sie über die leicht hügelige Streuobstwiese läuft, auf der im Sommer Blumen blühen und im Herbst Früchte an den Bäumen hängen werden. Hybsz hat sie extra anlegen lassen, damit die Bienen das Aroma der Blüten zurück in ihren Stock tragen, und so den Geschmack des Honigs prägen.

Biene ist viertgrößtes Nutztier

Der Hausleiterin liegt die Natur am Herzen: ‚Ich versuche, mich bewusst zu ernähren, und nachhaltig mit der Umwelt umzugehen‘, sagt die 64-Jährige. Dass die Jugendherbergen einen Veggie-Tag in der Woche haben, und generell umweltbewusst ausgerichtet sind, findet sie deshalb besonders gut. Außerdem ist sie in der Netzwerkgruppe Blühende Landschaft aktiv, in der Vertreter aus der Landwirtschaft mit dem Naturschutzbund das Image der Region verbessern wollen.

Ursula Hybsz sieht sich selbst auch als Landwirtin. „Die Biene ist das viertgrößte Nutztier“, betont sie. Lange Zeit wurden die schwarz-gelben Insekten vernachlässigt; heute gelten sie als bedroht und rücken immer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Bienen halten die Natur im Gleichgewicht, und ohne ihren Beitrag sähe die Welt ganz anders aus. Dass sich die Hausleiterin für die summenden Völker einsetzt, sei ihr kleiner Beitrag, um die Welt zu retten. Ich will der Biene eine Stimme geben. Irgendwie findet sie das auch gut, dieses ‚rebellische, kriegerische‘. Zumal sie eine der wenigen Frauen in einer von Männer dominierten Branche ist.

Das Bienenvolk, dem sie sich jetzt mit großen Schritten über die Wiese nähert, hat seinen Ursprung eigentlich in ihrem Garten – denn das ist irgendwann so groß geworden, dass Hybsz kurzerhand ein paar Hundert von ihnen in ihr Auto gepackt und auf das Gelände der Jugendherberge umgesiedelt hat. Ihr Garten liegt auf ihrem mehr als 3.800 Quadratmeter großen Grundstück in Cloppenburg und ist einer ihrer absoluten Lieblingsplätze. Hier liegt sie bei schönem Wetter auf ihrer Liege unter dem Zwetschgenbaum, liest ein Buch und trinkt Kaffee; hier genießt sie ihren Feierabend mit einem guten Weizenbier. Noch zwitschern allein die Vögel, aber schon bald werden auch die Bienen wieder ausschwärmen, und rund um die Uhr summen.

Noch aber sind die Bienen der Art Carnica träge und kraftlos. Ursula Hybsz nimmt den Deckel von dem grün-lackierten Styroporkasten, eine sogenannte Bienen-Beute, der dem Volk hinter der Jugendherberge als Stock dient. Das Summen wird lauter, und schon sitzen der 64-Jährigen die ersten Bienen auf dem weißen Anzug. Sicherheitshalber hält sie den rauchenden Dampfer an die Rähmchen, der Rauch soll die Insekten beruhigen. In den Holzrähmchen befinden sich die Waben, in denen Hunderte Bienen herumklettern. Hier ziehen die Bienen ihre Larven groß, und hier lagern sie Pollen und Honig ein.

Hat Hybsz denn gar keine Angst vor Stichen? „Angst nicht“ sagt sie, „aber Respekt.“ Schon oft hat sie den ein oder anderen Pieks abbekommen, manchmal sogar so viele, dass ihre Arme angeschwollen waren. Erst hat sie es mit Zwiebeln versucht, doch die stanken fürchterlich, und halfen wenig. „Aber von einem russischen Arzt habe ich einen Geheimtipp bekommen“, sagt die Hobby-Imkerin und lächelt. Seitdem steht immer eine Flasche Wodka in ihrem Kühlschrank. Nicht zum Trinken gegen den Schmerz. „Sondern zum Einreiben. Das hilft!“

Mit einem Stockmeißel drückt Hybsz die einzelnen Rähmchen hoch, beäugt sie kritisch von allen Seiten, und steckt sie dann vorsichtig zurück in den Styroporkasten. Ja, meine Süßen, gleich lass ich Euch wieder in Ruhe‘, flüstert sie. Die Kontrolle heute ist die erste seit der Winterpause. Ich muss schauen, ob die Bienen noch genügend Nahrung haben‘, erklärt die Hobby-Imkerin. Ansonsten müsse sie mit Honig nachhelfen, damit die Insekten die Zeit bis zum Ausschwärmen noch gut überstehen. Das Wissen hierfür hat sich Hybsz angelesen. Außerdem hilft ihr ein persönlicher Imker-Pate, wenn es Schwierigkeiten gibt.

Selbstgemachter Honig „Willi & Maja“?

Im Sommer dann, wenn die Bienen ihre Arbeit verrichtet haben, wird Ursula Hybsz damit beginnen, den Honig aus den Waben zu nehmen und in einem eigens dafür hergerichteten Raum bei sich im Garten zu schleudern. An der Wand ihres Schuppens hängt ein Schild: ‚Hier wohnt eine Imkerin mit ihrem Schwarm‘. Wächst man denn so sehr mit den kleinen Lebewesen zusammen? ‚Na klar‘, sagt Hybsz. Die gehören zur Familie. Meine Süßen sind mir richtig ans Herz gewachsen.‘ Auch, wenn sie bei mittlerweile drei großen Völkern mit bis zu 50.000 Bienen kaum eine von der nächsten unterscheiden kann.

Den Honig, den sie selbst produziert, verkauft sie unter dem Namen Willi & Maja. Per Hand füllt sie die Gläser ab, bei der Markenentwicklung und -gestaltung hat ihr ihre Nachbarin geholfen. Das Emblem ziert auch ihr Auto, und mit den Produkten ist sie regelmäßig auf Märkten unterwegs. Die Nachfrage ist der Wahnsinn‘, freut sich die 64-Jährige. Im vergangenen Jahr habe ich mehr als 250 Gläser verkauft.

Viel wichtiger als der Umsatz ist ihr aber die Botschaft, die hinter ihrem Engagement steckt. Man muss Naturschutz sexy verkaufen, sagt sie. Die Jugendherberge bietet deshalb auch Fortbildungen für Lehrer und Einsätze auf der Streuobstwiese mit Klassen und Gruppen an. Und genau das versuche ich mit meiner Begeisterung für die Imkerei: zu zeigen, wie wunderbar die Natur ist, und dass es Spaß machen kann, sich für sie einzusetzen. „Selbst brennen, um andere zum Brennen zu bringen“ – das ist schließlich ihr Motto.

 

Erschienen am 10. April 2016 in heiter bis stürmisch, dem Blog der Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland

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