Vom Stammgast zum Hausmeister der Jugendherberge Wangerooge

Von Tobias Meyer

Wolfgang Schlechta kommt nicht von der Insel. Das merken die Leute sofort. Sie fragen dann meist, ob er Schwabe ist, und Wolfgang antwortet: ‚Iwo, ich bin doch keen Schwoab, ich bin een Badisch-Franke!‘ Wo er herkommt, aus dem 2000-Seelen-Dorf Assamstadt in Baden-Württemberg, nennt man arbeiten ’schaffe‘. Und Wolfgang, der Badisch-Franke, tut jetzt woanders schaffe: auf Wangerooge, in der Jugendherberge im historischen Westturm. Dort, wo er 13 Jahre lang Urlaub gemacht hat, ist er nun Hausmeister.

Normalerweise sieht sein Tag so aus: um 7 Uhr aufstehen. Runde drehen. Blumen gießen. Und anschließend alles machen, was eben so anfällt. Schließzylinder tauschen, Leselampen reparieren, tropfende Wasserhähne stoppen, es gibt immer etwas zu tun, kein Tag ist wie der andere.

Heute zum Beispiel, heute muss er den Käfig auf dem Außengelände der Jugendherberge reparieren. Das wusste er bis eben noch nicht, doch dann kam ein kleiner Junge mit kreidebleichem Gesicht zu ihm in den Schuppen gerannt und hat gerufen: ‚Ich habe eine schlechte Nachricht! Ein Huhn ist weggelaufen!‘ Da es bereits das dritte Mal in zwei Tagen ist, dass der Junge vor ihm steht, geht Wolfgang in seine Werkstatt, sammelt Latten und Draht zusammen, und baut den selbstgezimmerten Käfig kurzerhand um.

Wolfgang ist gelernter Schreiner. Er hat schon Möbel gebaut für sein Haus in Assamstadt, in dem mittlerweile sein Sohn wohnt. Er hat auch Bühnen gestaltet für den heimischen Theaterverein, den er selber erst ‚aus Jux‘ ins Leben gerufen hat und in dem er dann 20 Jahre im Vorstand war. Jetzt baut er eben ein Hühnerhaus auf einer Insel im hohen Norden.

Das letzte Stück seiner Theatergruppe hieß: ‚Wenn einer eine Reise tut‘. Wolfgang hat seine vergangene Reise mit zwei Hühnern auf dem Schoß beendet, die er vom benachbarten Landwirt aus seiner Heimat mit nach Wangerooge bringen wollte. Und jetzt sind es genau diese beiden Hühner, die immer wieder ausbrechen. Hinter dem einen rennt er hinterher, es flitzt über die grüne Wiese am Westturm. Es dauert einige Minuten, bis er es zu fassen kriegt. Na also‘, sagt er zufrieden, fährt dem Tier sanft mit der flachen Hand über die weißen Flügel, hält es dem Jungen zum Streicheln hin. Dann setzt er es zurück, öffnet das Hühnerhaus und sammelt die Eier ein, die Berta und ihre gackernden Kolleginnen gelegt haben.

Wolfgang kennt Berta noch aus der Zeit, als er kein Hausmeister der Jugendherberge war, sondern Gast. 13 Jahre ist er mit seiner Familie nach Wangerooge in den Urlaub gefahren, immer im August, immer im Zimmer mit der Nummer 33. Das war immer wunderbar, weil es keine Autos gibt‘, schwärmt der 54-Jährige, der hauptberuflich zwei Jahrzehnte als Busfahrer gearbeitet hat und stets froh war, wenn es eine Zeit lang keine Motorengeräusche, Staus und Ampeln in seiner Umgebung gab. Wenn sie die Insel betraten, gab es immer eine Tradition: ‚Erscht oanmal einkaufe‘, erinnert sich Wolfgang und lächelt. Auf jeden Fall Bier und ein paar Süßigkeiten.‘

Ruhe, Meer, gute Luft – das ist Wangerooge für Wolfgang. Als ihn 2015 der damalige Hausmeister Theo Koopmann fragt, ob er sein Nachfolger werden möchte, muss er erst einmal gründlich überlegen: Will er wirklich seinen Urlaubs- zum Arbeitsort machen?

Er will. Und macht sich Anfang 2016 auf den Weg an die Nordsee. Fährt nachts los, bei eisigen Temperaturen. Es schneit und stürmt und überhaupt scheint gar nicht so zu laufen, wie er es sich für den Beginn seines neuen Lebensabschnitts vorgestellt hat: Beim Umsteigen in Oldenburg muss er vier Stunden warten, um 7 Uhr morgens steht er in Esens in der Kälte, weil der Bus Verspätung hat. Als er endlich am Anleger von Harlesiel ankommt, teilt man ihm mit: Die Fähre fällt aus. Das gibt es doch nicht!

Wolfgang läuft zum Flughafen rüber, kämpft sich durch den Sturm, und tatsächlich: Ein paar Handwerker wollen gerade rüber fliegen. Sie bieten ihm an, mitzukommen, und kurz darauf sitzt er in einem kleinen Flieger, in dem er mit dem Kopf fast an die Decke steckt. Endlich auf Wangerooge angekommen, muss er nur noch fünf Kilometer vom Flughafen bis zur Jugendherberge hinter sich bringen. Es war das letzte Mal, dass er an der Entscheidung gezweifelt hat. Seitdem habe ich keine einzige Minute bereut‘, sagt Wolfgang.

Gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls eine Stelle in der Jugendherberge bekommt, zieht er in das kleine Haus an der Jugendherberge. Es liegt direkt neben dem Fahrradschuppen, den er ebenfalls von seinem Vorgänger übernimmt. Wolfgangs Fahrradverleih‘ steht auf dem Schild an der Tür. Und direkt dahinter, da schraubt Wolfgang jetzt an den Drahteseln herum.

Draußen wirft der Westturm einen langen Schatten, die Sonne scheint vom fast wolkenfreien Himmel. Für Wolfgang heißt es: Gleich gibt es viel zu tun. Schreinern, Busfahren klar, das hat er gelernt. Aber Räder reparieren? ‚Hat mir meine Schwiegertochter gezeigt‘, sagt Wolfgang und strahlt über das ganze Gesicht. Die ist nämlich gelernte Fahrradmechanikern und greift ihrem Schwiegervater bei dem selbstständigen Betrieb des Verleihs unter die Arme. Ein paar Mal hat sie ihren Urlaub bereits auf der Insel verbracht, um ihm direkt vor Ort ein paar Handgriffe zu zeigen; mittlerweile kennt er sich so gut aus, dass es nur noch ganz selten mal zu Telefonkonferenzen kommt. Etwa ein Drittel seines Tages verbringt Wolfgang mit dem Fahrradverleih. Den Rest des Tages ist er Hausmeister.

Auch früher stand er oft im Schuppen oder, besser gesagt, in der Scheune. Als er noch im Süden wohnte, hatte er sich eine Eisenbahnlandschaft auf 40 Quadratmetern gebaut und komplett ausgestaltet. Zwei Jahre hat er gebastelt und eine kleine Welt geschaffen, durch die Züge mit 20 Anhängern ratterten. Lange Züge haben mich schon als Kind immer fasziniert‘, sagt er und sagt etwas nachdenklich hinzu. Noch geht es. Aber ich glaube, die Modelleisenbahn wird eine der wenigen Dinge sein, die mir fehlen.‘ Aber er hätte da auch schon eine Idee. Ich träume ja noch von einer Freilufteisenbahn für den Jugendherbergsgarten.‘

Dann muss sich Wolfgang wieder seiner Arbeit zu wenden. Tische abschleifen, weil jetzt gerade etwas Zeit frei ist, bis die Gäste mit den Leihfahrrädern wieder zurückkommen. Und wer weiß, vielleicht geht er heute nach Feierabend, nach all dem ‚Schaffe und Tun‘ einfach mal zum Strand runter. Genießt die untergehende Sonne, den Wind, die Wellen.

Vom Stammgast zum Hausmeister, das muss man erstmal schaffen.

 

Erschienen am 15. Februar 2017 in heiter bis stürmisch, dem Blog der Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland

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