Was andere Kommunen jetzt ausprobieren
Kreative Ideen und konkrete Ansätze für einen günstigen ÖPNV

Von Marcel Waalkes

Mehr Umweltschutz, weniger Verkehrsunfälle: Nie wurde intensiver über eine flächendeckende Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs diskutiert als derzeit. Von Weyhe bis Wien: Welche Ideen setzen Kommunen konkret um – und wer bezahlt eigentlich dafür?

Der Bus kommt. Doch beim Griff in die Tasche rutscht das Herz in die Hose: Portemonnaie vergessen. Kein Geld. Kein Ticket? Vielleicht. Aber nicht in Tübingen. Denn dort, im Zentrum von Baden-Württemberg, fahren die Menschen seit einem Dreivierteljahr jeden Samstag kostenlos. »Das Projekt wird mit Haushaltsmitteln der Universitätsstadt Tübingen finanziert«, sagt Johannes Fritsche, zuständig für Kommunikation bei den Stadtwerken Tübingen. Für das aktuelle Jahr belaufen sich die Kosten auf 200.000 Euro.

Freie Fahrt wegen Parkhaus-Sanierung

Dass Tübinger Fahrgäste zwischen Samstag 0 Uhr und Sonntag 5 Uhr kein Ticket ziehen müssen, ist dem Umstand geschuldet, dass das zentrale Parkhaus in der Altstadt saniert wird. Mit immerhin 325 Stellplätzen spielt es eine Schlüsselrolle im täglichen Verkehr. Auf der Suche nach einer Alternative sind die Stadtwerke Tübingen kreativ geworden. Da sich die Sanierungsarbeiten bis in das kommende Jahr ziehen werden, wollen die Stadtwerke Tübingen den ticketfreien Samstag entsprechend lange am Leben erhalten: »Wir stellen uns auf eine Verlängerung der Laufzeit bis Ende 2019 ein«, so Fritsche – zumal das Feedback aus der Bevölkerung positiv ausfalle. »Es gibt sogar Forderungen, das Projekt über die Stadtgrenzen hinaus auszuweiten«, ergänzt er.

Das belegen auch die Zahlen. Im Vergleich zu früher, als das Busfahren samstags noch Geld kostete, verzeichnen die Stadtwerke einen Anstieg der Fahrgastzahlen um 5,1 Prozent. Einen ähnlichen Erfolg erhofft sich die Gemeinde Weyhe. Seit dem 1. Oktober dieses Jahres gibt es »MIA für WEYHE – Das EinwohnerTicket«. Wer in Weyhe lebt und ein MIA- oder MIAplus-Ticket besitzt, bekommt nach einem Jahr 15 Prozent der Kosten erstattet. So können vor allem Pendlerinnen und Pendler bis zu 172 Euro im Jahr sparen. »Hier leben vergleichsweise viele Pendler, außerdem verfügen wir über eine gute Bahnanbindung nach Bremen. Auch deshalb haben wir den Zuschlag für den Modellversuch erhalten«, beschreibt Max Serzisko, zuständig für Gemeindeentwicklung und Umwelt, die ausschlaggebenden Kriterien. Der Projektzeitraum ist auf zwei Jahre ausgelegt und endet am 30. September 2020.

Die Einführung geht zurück auf die Initiative von Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte. »Die Idee war es, dass alle Bürger unabhängig von Einkommen oder Beruf Vergünstigungen im ÖPNV in Anspruch nehmen können«, so Serzisko. Letztlich glückte die Realisierung in Kooperation mit dem Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen, dem Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) und dem Zweckverband Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (ZVBN). Letzterer beteiligt sich mit 75 Prozent an den Kosten. »Die Gemeinde übernimmt 25 Prozent «, erklärt Serzisko. Ziel ist es, in den zwei Jahren 100 zusätzliche Tickets zu verkaufen, damit sich Aufwand und Kosten decken. Der Plan scheint aufzugehen: Bis Mitte September wurden bereits 32 neue EinwohnerTickets abgesetzt. Der öffentliche Personennahverkehr der österreichischen Bundeshauptstadt Wien fährt mit einer ähnlichen Aktion derzeit besonders großen Erfolg ein. 2012 waren rund 500.000 Wienerinnen und Wiener im Besitz einer Jahreskarte.

Wien: Nahverkehr für 365 Euro im Jahr

Der Verkehrsbetrieb Wiens reagierte und bietet mittlerweile eine Jahreskarte für 365 Euro an. »Seitdem ist die Zahl der Jahreskartenbesitzer stark angestiegen. Aktuell liegen wir bei 780.000. Das ist beachtlich: Wir haben mehr Jahreskartenbesitzer als angemeldete Autos in der Stadt«, sagt Kathrin Liener, Pressesprecherin der Wiener Linien. Im Vorfeld wurde öffentlich und auch intern viel diskutiert. Mit dem Ergebnis seien allerdings alle Beteiligten zufrieden: »Der Preis ist das eine. Aber es muss auch das Angebot passen. Wir haben in den letzten Jahren viel in den Netzausbau investiert. 96 Prozent aller Wiener haben eine Haltestelle in Gehweite «, so Liener. Das Projekt finanzieren die Wiener Linien zu 60 Prozent aus eigener Tasche. Den Rest steuert die Stadt Wien bei.

Auch in der Bremer Politik gibt es derzeit die Diskussion, ein Modell nach Wiener Vorbild anzubieten. In einem Positionspapier hatten die Bremer Grünen die Idee ins Parlament eingebracht. Grundsätzlich bewerten die Parteien den Vorschlag als gut, allerdings gehen die Meinungen beim Thema Finanzierung weit auseinander. Abgeschlossen ist die Debatte jedenfalls noch nicht.

 

Erschienen in MOBILDIALOG – Das Magazin (Ausgabe 1, November 2018)

 

Share it